Nichts tun ist die größte Herausforderung

20.07.2025

Das hätte ich nie im Leben gedacht: Mein dickes, gemütliches, früher so „faules“ Kaltblutpferd kann nicht stillstehen. Dabei hätte ich darauf gewettet, dass dies seine einfachste Übung wird.

Aber von vorn. Seitdem ich mich tiefer mit der positiven Verstärkung beschäftige, habe ich schon einiges dazugelernt. Vor allem der Aspekt des Medical Trainings interessiert mich dabei sehr. Durch meine Weiterbildung zum Tierheilpraktiker weiß ich, wie wichtig es ist, dass das Tier bei der Untersuchung stillhält. Und aus eigener Erfahrung als Tierhalter weiß ich auch, wie schwer das für ein Tier ist, dass nicht weiß, was mit ihm passiert. Wenn dann noch die Verunsicherung durch eine unbekannte Umgebung, wie die Tierarztpraxis und womöglich noch Schmerzen (als Grund oder Folge des Tierarztbesuches) dazukommen, ist entspanntes Verhalten eher Wunschvorstellung denn Realität. Und dagegen soll das Medical Training helfen. Es kommt aus dem Handling von Wildtieren, die man durch Zwang oft nicht zur Kooperation bewegen kann. Aber natürlich funktioniert es auch bei allen Haus- und Heimtieren. Das Tier wird langsam, Schritt für Schritt, daran gewöhnt, dass es untersucht und in irgendeiner Form manipuliert wird. Alles geschieht auf einer Basis von Freiwilligkeit und Mitspracherecht. Klingt eigentlich fast zu gut um wahr zu sein.

Das will ich natürlich auch. Nicht nur bei Lukas, idealerweise auch bei meinen Katzen. Aber das ist eine andere Story. Also habe ich gedacht, ich mache das, was ich immer gerne mache, wenn ich etwas Neues lernen möchte: Ich habe mir ein Buch gekauft. Medical Training von Nina Steigerwald wurde von mehreren Stellen empfohlen, außerdem kenne ich sie aus Podcasts und finde das, was sie macht, echt gut.

In dem Buch spricht sich Nina Steigerwald deutlich dafür aus, damit anzufangen, dass das Pferd stillhalten lernt. Damit ist gemeint, dass es mit allen vier Hufen ruhig auf dem Boden steht und den Kopf in gerader Linie zum Körper ruhig hält. Lukas‘ einfachste Übung. Dachte ich.

Er kennt ja das Klickertraining jetzt schon eine Weile. Und er spricht wirklich sehr gut darauf an. Wir haben damit schon enorme Fortschritte gemacht. Ich war wirklich der Meinung, dass wir über die ersten Trainingsschritte schnell hinweggehen können. Optimistisch wie ich war, habe ich mir nicht nur den ersten Trainingsplan zum Stillstehen heruntergeladen, sondern auch gleich noch den nächsten. Nina Steigerwald arbeitet eigentlich mit einem einfachen Mittel: Teile das Verhalten in kleine Zwischenschritte auf und gehe erst zum nächsten Schritt weiter, wenn der Schritt davor in mehr als 80% (besser 100%) der Durchläufe klappt. Wenn er in weniger als 60% der Durchläufe nicht klappt, war der Schritt zu groß und man muss noch einen oder mehrere Zwischenschritte finden.

Ich habe Lukas also wie beschrieben angebunden, mich außer Reichweite hingestellt, mit Clicker und Leckerli bereit. Und dann habe ich gewartet. Der erste Schritt sollte sein, dass das Pferd mit durchhängendem Strick eine Sekunde still hält.

Zum ersten Mal habe ich wirklich darauf geachtet, was mein Pferd alles zeigt. Sein Verhaltensrepertoire am Anbinder ist wirklich vielfältig. Er bewegt den Kopf nach oben, nach unten, nach rechts oder nach links. Er scharrt mit den Hufen, dreht sich von einer Seite auf die andere oder schüttelt den Kopf. Nur Stillhalten war nicht dabei. Jedenfalls nicht für eine ganze Sekunde am Stück. Ich war echt perplex.

Für die ersten 10 richtigen Versuche (= 1 Sekunde still stehen wie oben beschrieben) haben wir eine Viertelstunde gebraucht. Hätte ich nicht vorher ein Beispielvideo aus dem Buch gesehen, bei dem das Pferd ein ähnliches Verhalten gezeigt hat, hätte ich schon viel eher aufgegeben.

Nachdem die 10 Versuche geklappt hatten, wollte ich zum nächsten Zwischenschritt übergehen. Laut Buch sollte das so sein, dass ich warte, bis er 1 Sekunde still hält und dann einen Schritt auf ihn zugehe, dann bekommt er den Klick und den Heucob. Soweit die Theorie. Nur in der Praxis sah das ganz anders aus. Eine Sekunde stillhalten ging zwar, aber sobald ich mich bewegt habe, hat er sich auch bewegt, sodass ich nicht markern und belohnen konnte. Nach drei Versuchen war klar, dass ich hier einen Zwischenschritt brauche.

Ich brauchte nicht nur einen, ich brauchte mehrere. Kurz in die Knie gehen, einen Fuß heben, herumwackeln im Stand, herumwackeln und dabei auf der Stelle treten, rückwärts treten. Ich habe am Freitag in zwei Übungseinheiten trainiert und am heute auch wieder in zwei Übungseinheiten. Ich habe es noch immer nicht geschafft. Sobald ich mich in Richtung des Pferdes bewege, reagiert er, indem er sich mir zuwendet. Das ist wie ein Reflex.

Leider war ich heute das letzte Mal vor meinem Urlaub bei Lukas. Es geht dann erst Ende August weiter. Da werde ich aber einfach wieder bei Schritt 1 anfangen und sehen, was geht.

Ich war natürlich sowohl am Freitag noch am Sonntag auch noch mit Lukas unterwegs. Aufgrund der Wärme wollte ich nicht unbedingt auf den Reitplatz, also habe ich gedacht, es reicht ihm, zu grasen. Wir haben also lieber an unserem Spazierweg gearbeitet. Inzwischen komme ich in beide Richtungen etwa 30-40 Meter weit und bin schon ganz stolz auf uns. Lukas macht es auch Spaß, er möchte immer gar nicht zurück zum Hof. Klar, für ihn bedeutet das Training, dass er nach Herzenslust grasen kann und nur mal zwischendurch ein paar Schritte läuft.

Und jetzt verabschiede ich mich erst mal in meinen Sommerurlaub. Wir reisen diesmal nach Island. Dort treffen wir auch auf Islandpferde. Ich bin schon gespannt, welche neuen Eindrücke ich mitbringen werde. Ich hoffe, auch danach lest ihr hier weiter mit. Dann bis bald!

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